In der Brise schwingen
Fraynni Rui, Violine
Renato Wiedemann, Violine
Rodolfo Mijares, Viola
Joonas Pitkänen, Violoncello
Jubiläumskonzerte 2024/
10 Jahre Feeling blue & white
Lotta Wennäkoski (*1970)
Streichquartett Culla d'aria (2003-04)
Ludwig van Beethoven (1770-1827)
Streichquartett Nr. 7 in F-Dur op. 59 Nr. 1 "Razumovsky" (1808)
Konzertdauer ca. 60 Minuten, ohne Pause
September 2024
Klosterkirche Dornach
Begegnungszentrum Rüdlingen
Culla d’aria ist ein Auftragswerk für den Internationalen Kammermusikwettbewerb in Kuhmo. Hier wird seit 54 Jahren das grösste Klassikfestival Finnlands veranstaltet, eingebettet in einer malerischen Seenlandschaft. Die Komposition wurde von mehreren Quartetten im Wettbewerb aufgeführt und kann seit dieser Premiere im Juli 2004 in Kammermusikanlässen weltweit gehört werden. Diverse Streichquartette haben es in ihr Konzertrepertoire aufgenommen, sodass Culla d’aria heute eins der meist gespielten Werke von Lotta Wennäkoski ist.
Ihre Komposition zeichnet sich nicht nur durch die luftleichte Klanglandschaft aus (aria/ aire/ air). Charakteristisch für das Stück ist auch der schaukelnde Takt, Wennäkoski nennt ihn Puls. Das Schaukeln entstand dank einem sprachlichen Detail: Beim Schaffen des Werks dachte Wennäkoski nämlich, dass „Culla„ ein Schaukel ist.
Was hörte sie dann beim Schreiben dieses Stücks? Ob sie Musik in ihrem Kopf hört, wenn sie am Komponieren sei? Diese Frage wird Wennäkoski oft gestellt. Sie ist eine der führenden Komponisten Finnlands mit einer sehr internationalen Karriere und das öffentliche Interesse für ihre Arbeit ist gross. Sie verfasst regelmässig Beiträge zu ihrem Schaffen, erläutert Hintergründe und nimmt Position als Künstlerin ein.
Wennäkoski erlebt Komponieren als Arbeit mit „musikalischen Materialien“. Diese sind vorwiegend Klangspuren in ihrem Gedächtnis: ihre Erinnerungen von Tönen, Klängen und vor allem von Geräuschen. Diese seien hörbar für sie und der Beginn ihrer kompositorischen Arbeit. In einer weiteren Arbeitsphase will sie ihr Material zusammensetzen, sich dabei das Werk vorstellen, sich auch auf ihre Sinnen verlassen. Es sei eine sehr sensible Phase, in welcher ihre Konzentration vieles leiste und sie die Klangspuren aus ihrem Gedächtnis „dosiert“ hervorholen kann – wie das Lesen einer Landkarte sei es dann für sie.
Lotta Wennäkoski erhielt 2020 den staatlichen Musikpreis Finnlands. Zu den internationalen Meilensteinen ihrer bisherigen Karriere gehören u. a. die Uraufführung des vom Scottish Chamber Orchestra in Auftrag gegebenen Orchesterwerks „Verdigris“ 2015 in St. Andrews, die Einladung zum Other Minds Komponistenfestival 2017 in San Francisco, die Uraufführung der vom BBC Radio 3 in Auftrag gegebenen Sinfonie „Flounce“ durch BBC Symphony Orchestra im Rahmen der BBC Proms 2017 im Royal Albert Hall, die Uraufführung des von Los Angeles Philharmonic Orchestra in Auftrag gegebenen Kammermusikwerkes „Hele“ 2018 im Walt Disney Concert Hall sowie die Uraufführung des von Danish String Quartet in Auftrag gegebenen Streichquartetts Pige 2022 im Carnegie Hall in New York.
Für den Cellisten und künstlerischen Leiter von Feeling blue & white, Joonas Pitkänen, ist Culla d’aria eine bemerkenswerte Komposition. Sie kreiert eine leichte Brise und lässt die Zuhörer und Musiker darin schwingen. Diese Atmosphäre veranschaulicht gut, weshalb Wennäkoski’s Musik als „lyrisch und spielerisch“ bezeichnet wird.
Mit dem Streichquartett Nr. 1 der sogenannten Razumovsky-Quartette von Ludwig van Beethoven will Joonas Pitkänen die Zuhörer aus der schwingenden Brise in eine orchestrale Klangfülle führen. Diese Begegnung ist eine wahre Saitenreise durch Epochen. Sie ist zwar eine Gegenüberstellung der zeitgenössischen Musik aus Finnland mit einem klassischen Meisterwerk der Streichquartettliteratur, aber auch mit einem Stück, welches das melodieverwöhnte Publikum zu Beethoven’s Zeit sehr provozierte.
Seine Streichquartette, es sind insgesamt 16, führen die damals traditionelle Formsprache der Quartette von Haydn und Mozart fort, entwickeln aber auch eine neue, eigene Kammermusikkultur. Das Opus 59 mit drei Streichquartetten mag für heutige Verhältnisse „mainstream“ sein, damals wirkten sie jedoch modern und abstrakt.
Die melodisch freien und langen Themen für einzelne Instrumente herausforderten Ensemblemusiker, die sich nun mit ausgedehnten und dichten Klangereignissen auseinandersetzen mussten – wie in einem Sinfonieorchester. Deshalb sollten sie in grossen Konzertsälen gespielt werden, meinte Beethoven, anstatt in Privatsalons von Fürsten. Mit diesen sehr themenreichen und konzertanten Quartetten wollte Beethoven bewusst Kammermusik aus dem Wohnzimmer in die Öffentlichkeit bringen. Mitgetragen wurde diese Absicht vom Geigenvirtuosen Ignaz Schuppanzigh, der sehr eng mit Beethoven arbeitete. Er hatte 1804-1805 erstmals in der Musikgeschichte eine öffentliche Konzertserie mit Kammermusik veranstaltet, als Leader des „ersten stehenden Quartetts der Welt“.
Die Streichquartette des Opus 59 wurden Anfang 1807 vom Ignaz Schuppanzigh Quartett uraufgeführt. Gewidmet sind sie dem russischen Botschafter am Wiener Hof, Graf Andrei Rasumowsky, einem Förderer und Verehrer Beethovens. Zu seiner Ehre verarbeitete Beethoven russische Volksmelodien als Themen in den Quartetten Nr. 1 und 2.