Memories
Vladyslava Luchenko, Violine
Rafael Hernandez, Violine
Filip Saffray, Viola
Joonas Pitkänen, Violoncello
Olivier Darbellay, Horn
Konzertreihe Kaija Saariaho 2023
Elisar Riddelin (*1993)
Frozen Clutch für Horn und Streichquartett (2021)
Kaija Saariaho (1952-2023)
Aure für Violine und Viola (2011)
Sauli Zinovjev (*1988)
Double Trouble für Violine und Violoncello (2021)
Kaija Saariaho (1952-2023)
Terra memoria für Streichquartett (2006)
Konzertdauer ca. 60 Minuten, ohne Pause
Gedenkstätte für Flüchtlinge, Riehen
Konzert-Galerie Maison 44, Basel
April 2023
Die dreiteilige Veranstaltung Clouds/ Memories/ Nocturne taucht in die finnische Gegenwartsmusik und zelebriert den 70. Geburtstag von Kaija Saariaho, Grande Dame der zeitgenössischen Komponierkunst. In der Konzertreihe wird eine Auswahl von Saariaho’s Kammermusik für Streicher vorgestellt, von klangstarken solistischen Stücken über dialoghafte Duos und Trios zu einem melancholischen Streichquartett.
Kaija Saariaho war in mehreren Jahren hintereinander die am häufigsten aufgeführte zeitgenössische Komponistin (gem. Bachtrack Statistik). Ihr Stil ist pionierhaft und erfrischend modern geblieben. Einerseits ist sie ihren Idolen der französischen Spektralmusik der 1980er Jahre treu geblieben - sie lebt seit 40 Jahren in Paris - andererseits hat sie ihre eigenen, unverkennbaren Klanglandschaften geschaffen. Ihre Begabung mit sinnbildlichen und visuellen Komponenten sowie mit synthetischer Klangerzeugung fantasievoll und "natürlich" zu arbeiten, ist eine grosse Inspiration für Künstler aller Gattungen. Für Rezipienten ist ihre Kunst mit akustischen und elektronischen Klängen ein "ohrenöffnendes" Erlebnis.
Vor ihrer Auswanderung nach Frankreich, mit 30 Jahren, war Kaija Saariaho ein wichtiges Mitglied von Ohren auf! , einer künstlerischen Bewegung in Finnland, die sich zum Ziel gesetzt hatte, zeitgenössische Musik auch im fernen Norden zu etablieren. Ohren auf! wurde Anfang 1980er Jahre von einer Gruppe junger Musiker gegründet, die sich für moderne Musik mit ihren unterschiedlichen Stilrichtungen und Gebieten interessierte. Neben Saariaho bildeten weltbekannte Komponisten/ Dirigenten, wie Esa-Pekka Salonen und Magnus Lindberg, die Kerngruppe der Bewegung. Ihre Aktivitäten umfassten öffentliche Konzerte, Vorlesungen und Podiumsgespräche sowie Seminare wie auch gemeinsame Reisen ins Ausland. Obwohl manchmal nur „zwei Menschen und ein Hund“ im Publikum sassen, wurde das ambitiöse Vorhaben von der Öffentlichkeit mit viel Anerkennung verfolgt. Entgegen den Erwartungen gelang es Saariaho und ihren Künstlerfreunden, die viel Zeit miteinander verbrachten und sehr kollegial ihre Pläne entwickelten, das Herz des finnischen Publikums für Neue Musik zu gewinnen.
Eine herausfordernde Dimension in der Überzeugungsarbeit bildeten die neuen Technologien, mit deren Hilfe elektronische Musik komponiert wurde. Die Rede war von Computermusik. Um sich mit der Kunst der synthetischen Klangerzeugung auseinanderzusetzen, verliess Saariaho Helsinki und absolvierte vertiefende Studien in Freiburg und Paris. Unterhalb des Centre Pompidou befand sich das Institut IRCAM (Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique), in dessen elektroakustischen Experimentierräumen Saariaho ein neues Terrain erobern durfte. Hier begann ihre beispiellose Reise in der Forschung der akustischen Phänomene und im Schaffen von Kompositionen, die Verbindungen zwischen Musikern und elektronischen Klängen ermöglichen.
„Der Hintergrund meiner Musik ist oft kräftig visuell. Mich inspirieren Licht- und Farbphänomene, auch Lyrik. Vor Beginn einer Komposition sehe ich Klänge vor meinem inneren Auge als Farben und Texturen. Ich gehe konzeptionell vor, mache grafische Notizen, male Linien mit Pinsel auf dem Papier.“ (Kaija Saariaho)
Aure ist Kaija Saariaho’s Hommage zum 95. Geburtstag von Henri Dutilleux (1916-2013), inspiriert von seinem Orchesterwerk The Shadows of Time.
Terra Memoria ist das einzige “pure” Streichquartett von Saariaho. Ihr Gesamtwerk umfasst zwar zwei weitere Kompositionen für die sogenannte Königsgattung der Klassik, bei denen sind aber die harmonischen Möglichkeiten mit elektronischer Klangerzeugung ("Nymphéa" für Streichquartett und Live-Elektronik, 1987) oder mit weiteren Instrumenten („Figura“ für Soloklarinette, Klavier und Streichquartett, 2016) erweitert.
“The title Terra Memoria refers to two words which are full of rich associations: to earth and memory. Here earth refers to my musical material and memory to the way I'm working on it.”
Kaija Saariaho’s Werke wecken weltanschauliche Fragen in uns. Mit ihrem Streichquartett führt sie die Zuhörer ins Land des Erinnerns. Das Stück sei dem „Andenken derer gewidmet, die von uns gegangen sind“. Die Hinterbliebenen werden stets an gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse erinnert, meint Saariaho, gewisse Erinnerungen erscheinen gar in Träumen. Manche Erinnerungen würden nach vielen Jahren klar wirken, andere eher distanziert. Dieser Gedanke ist in Terra Memoria zu hören: einige musikalische Elemente behalten ihren Charakter durch das ganze Stück bei, andere machen auffallende Veränderungen durch.
Terra Memoria ist eine Auftragsarbeit für das Emerson Quartett.
„Der Einfluss von Kaija Saariaho auf mein Komponist-Sein ist sehr bedeutend“, sagt Sauli Zinovjev, ein Vertreter der jungen Komponisten-generation Finnlands. Die Branche sei sehr kollegial und von gegenseitiger Wertschätzung und Unterstützung geprägt, empfindet der 35-jährige Zinovjev. „Auch ich bin in meiner Arbeit von Saariaho gefördert worden. Dieserart Verbundenheit ist meines Erachtens charakteristisch für das finnische Kulturleben.„
Die Finnen lieben ihre Dirigenten, Opernsänger und Komponisten. Die künstlerischen Tätigkeiten und gesellschaftlichen Initiativen dieser keineswegs elitären Künstler werden nicht nur in Fachmedien, sondern auch in Lokalzeitungen wie auch in der Regenbogenpresse thematisiert. Sie gastieren in Talkshows und Podiumsgesprächen, nehmen an der öffentlichen Diskussion Teil, sind präsent und nahbar. Der Bereich genießt hohe Beachtung. Zinovjev ist der Ansicht, dass gerade Persönlichkeiten wie Kaija Saariaho, viel dazu beigetragen haben. Sie hätten jahrzehntelang ihre Vorbildfunktion grossartig wahrgenommen.
Zinovjev ist Absolvent der Sibelius-Akademie, der Musikhochschule in Helsinki. Er komponiert vorwiegend Orchestermusik. Bisher sind seine Werke u. a. von Royal Concertgebouw Orchestra, den Münchner Philharmonikern, vom Tokyo Metropolitan Symphony Orchestra und Philharmonischen Orchester Oslo gespielt worden, teilweise auch als Auftragswerke. Musik für kleinere Besetzungen schreibt er regelmäßig, seine Absicht sei mindestens ein Kammermusikstück im Jahr zu komponieren. „Diese wirken oft wie ein Laboratorium, in welchem ich neue Ideen befreit entwickeln und prüfen kann. Gelegentlich landen sie dann als Elemente in größere Werke.“
Der junge Zinovjev spielte Gitarre in einem Rockband und fuhr auf seinem Skateboard. Nachdem er ein Videoclip mit György Cziffra am Klavier gesehen hatte, Liszt spielend, stand er an einem Wendepunkt: “It was as if wallpaper had been torn off the wall revealing a window to an open landscape. The euphoria and the virtuoso performance left a fanatic impression on me. To have the ability to inject so much art into a single moment. The entire spectrum of life.”
Das im 2021 vollendete Double Trouble widerspiegelt womöglich seine Erfahrungen in der Teenagerzeit. Die zwei Protagonisten des Stücks lassen es krachen, können aber auch sentimental werden. Der Stil erinnert einerseits an Minimal Music, andererseits sind coole Pop/ Rock Sounds zu hören. „Super-motorbike“ lautet die Vortragsbezeichnung eines Takts in der Violoncello Partitur. Eine doppelte Portion von Grollen, Brummen und gefährlichen Situationen. Lasst den Bogenharz stauben!
Frozen Clutch ist ein aussagekräftiges Beispiel von Elisar Riddelin’s neoromantischen Kompositionsstil: Er schafft Melodien mit Harmonien und strebt nach Rhythmik. In diesem Stück überzeugen die Instrumente mit klanglichem Gleichgewicht. Neben Komponierarbeit tritt Elisar Riddelin, 30 Jahre, als Soloviolinist auf und finalisiert sein Studium im Orchesterdirigieren an der Königlichen Musikhochschule Stockholm. Er ist Gründer des Caprico Orchesters für Neue Musik, das bereits eine Vielzahl von Werken von jungen finnischen Komponisten unter seiner Leitung uraufführen durfte.