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© Matti Suopajärvi

Ruf der Kraniche
Basler Festival Orchester
Joonas Pitkänen, Leitung

Konzertreihe Jean Sibelius 2018-2022

Jean Sibelius (1865-1957)
Bühnenmusik zum Schauspiel „Der Tod“ von Arvid Järnefelt
Op. 62b Valse romantique (1911)

Op. 62a Canzonetta „Rondino der Liebenden“ (1911)

Op. 44, Nr. 2 Szene mit Kranichen (1906)  

Op. 44, Nr. 1 Valse triste (1904)

Joonas Kokkonen (1921-1996)
Il paesaggio, „Landschaft“ (1987), für Kammerorchester

Schweizer Erstaufführung

Jean Sibelius (1865-1957)
Pelléas und Mélisande, Suite aus der Bühnenmusik

zum Schauspiel von Maurice Maeterlinck, Op. 46, 1905

1. Am Schlosstor („Linnan portilla“)

2. Mélisande

2a. Am Meeresstrand („Meren rannalla“)

3. Brunnen im Park („Lähde puistossa“)

4. Die drei blinden Schwestern („Kolme sokeata sisarta“)

5. Pastorale

6. Mélisande am Spinnrad („Mélisande rukin äärellä“)

7. Intermezzo

8. Mélisandes Tod („Mélisanden kuolema“)

Don Bosco Basel

Dezember 2021

In der finnischen Musikgeschichte ist Jean Sibelius (1865-1957) zweifelsohne der Komponist, dem es als Erster gelang, den Esprit des Landes und die Identität des Volkes musikalisch einzufangen. Vorwiegend vermittelte er seine leidenschaftlich nationalen Eindrücke in Sinfonien und Tondichtungen. Beim Komponieren der Schauspielmusik liess er sich von den Möglichkeiten und Ansprüchen der Bühne inspirieren und experimentierte mit Ausdrucksformen und –stilen. Er schrieb zwar eher für kleinere Orchester-besetzungen, die vom Klang her aber sinfonisch wirkten. In der Interpretation eines Schauspielstückes blieb er meistens dem literarischen Rahmen nicht treu, sondern komponierte eher unabhängige Stücke ohne übergreifende Themenzusammenhänge. Er orientierte sich nach den einzelnen Szenen und wollte diese bildlich, aber eben in der Sprache der Musik, erzählen. In seiner Schauspielmusik dominieren farbenreiche und ästhetische Orchestersuiten, die aus eigenständigen Sätzen bestehen.  


Bühnenmusik komponierte er während seiner gesamten Karriere. „Meine alte Sünde“ nannte er dieses Genre ironisch. Er vertonte lediglich eine Oper, „Jungfrau im Turm“. Er war mit seiner Musik für dieses halbstündige Öperchen sehr unzufrieden und untersagte gar deren Inszenierungen gleich nach der Premiere. Vielmehr faszinierten ihn Theater sowie Tableaux-Musik. Interessant ist, dass ihn gerade seine Schauspielmusik internationale Bekanntheit Anfang des 20. Jahrhunderts brachte. Unter seinen Bühnen-kompositionen befinden sich nämlich Welthits wie Valse triste und Finlandia.  


Die kleinen Orchesterstücke vom Opus 44 und Opus 62 komponierte Sibelius ursprünglich für ein Schauspielstück seines Schwagers, Arvid Järnefelt. „Der Tod“ wurde 1903 mit einer Musikversion im Finnischen Nationaltheater in Helsinki uraufgeführt, aus welcher nur das Thema von Valse Triste fortbestehend blieb … und in welcher beispiellosen Weise! Der „traurige Walzer“ gelangte in vielfältigen Bearbeitungen zu internationalem Ruhm. Schon während des ersten Jahres nach der Veröffentlichung durch Breitkopf & Härtel, den ältesten Musikverlag der Welt, wurde die Partitur gar von achtzig Orchestern weltweit bestellt; eine neue Dimension für einen Komponisten aus Finnland. Valse Triste hat sich ausserhalb des Dramas von Järnefelt zu einem selbständigen Konzertstück von Sibelius entwickelt. Weniger erfreulich ist die Tatsache, dass es in den Konzertprogrammen als „finnisches Stimmungsbild“ bezeichnet wird.


Die Valse romantique bildet charakteristisch eine Dur-Version zu Valse triste. Sibelius schrieb diesen Satz wie auch die Canzonetta (Rondino der Liebenden) für die revidierte Version von „Der Tod“, die Arvid Järnefelt 1911 vollendete. Auch diesmal feierten Järnefelt und Sibelius die Premiere im Nationaltheater.      


Der russische Komponist, Igor Strawinsky (1882-1971), schrieb von der Canzonetta ein Arrangement für vier Hörner, zwei Klarinetten, Harfe und Kontrabass (1963). Zu seiner Motivation, eine Version von der Canzonetta zu arrangieren, sagte er „Mir gefallen hier die nordischen Melodien von Sibelius, die an den italienischen Stil anlehnen. Sie erinnern mich an Pjotr Tschaikowski und die Kultur in St. Petersburg.“  


Die Szene mit Kranichen beschreibt einen Akt, in welchem Kraniche ein Baby bringen. Sibelius greift hier die mythische Geschichte vom Storch auf, der die Kinder bringt. Sein Lieblingsvogel war aber der Kranich. Selbst-erklärend also, dass in der sibelianischen Darstellung die Kraniche die Rolle der Hebamme übernehmen. 

„Ich sah Kraniche fliegen, voll Musik. Ich lernte wieder unglaublich viel von Tönen.“, Tagebucheintrag von Jean Sibelius vom September 1915
 

Jean Sibelius wartete auf den herbstlichen Ruf der Kraniche sehnsüchtig auf deinem Seelandgut in Südfinnland. Jahr für Jahr bewunderte er hier ein grossartiges Schauspiel, nämlich den Herbstzug der Kraniche. Diese Landschaft am Tuusula-See kannte auch der Komponist Joonas Kokkonen (1921-1996). Wie Sibelius in 1903, liess Kokkonen hier ein „Waldhaus“ mit Künstleratelier bauen. Sein Refugium „Villa Kokkonen“ entstand 1969, entworfen von Alvar Aalto, dem finnischen Architekten, Stadtplaner und Möbeldesigner. 


Seine Il paesaggio entstand 1987 aus der Liebe zu dieser Seelandschaft, die bereits für so viele andere Künstler eine bedeutende Inspirationsquelle gewesen war. Wider Erwarten hört man in der Komposition weder Impressionen aus der Natur noch irgendwelche andere aussermusikalische Themen. Joonas Kokkonen war kein Anhänger der Programmmusik. Stilistisch reicht sein Komponierstil von der Zwölftontechnik über Neoklassizismus zur Freien Tonalität.  


Il paesaggio beinhaltet eine symbolische Geste. Kokkonen vermerkte am Ende der Partitur das Wort „Enigma“ (Rätsel). Nach dieser Stelle spielt das Orchester Töne, die auf Namen von drei Komponisten aus seiner Heimat hinweisen. Damit wollte Kokkonen seine Künstlerkollegen von gestern, heute und morgen verehren. 

  • Orchester spielt ein Unisono-Motiv mit e-a-es-h-b-e-es  --> Hinweis auf Jean Sibelius 

  • Oboe spielt ein Motiv mit e-b-e-g-a  --> Hinweis auf Erik Bergman, Pionier der modernen Musik in Finnland, 1911-2006 

  • Flöte spielt ein Motiv mit a-h-e-e  --> Hinweis auf Paavo Heininen, „grand old man of Finnish Modernism“, *1938 

 

„Wer Symbole interpretieren kann, versteht Geheimnisse des Universums.“ , meinte Jean Sibelius. Er komponierte gerne Musiknummern für symbolistische Theaterstücke, wie „Der Tod“ und „Pelléas und Mélisande“ es sind. Das letztere, ein Schauspielstück vom belgischen Dramatiker Maurice Maeterlinck (1862-1949), erzählt die unglückliche und verbotene Liebe von  Pelléas und Mélisande. Claude Debussy komponierte dazu 1902 eine fünfaktige Oper, Sibelius 1905 eine achtsätzige Orchestersuite. Für Sibelius war es ein Auftragswerk, bestellt vom Schwedischen Theater Finnlands in Helsinki, wo das Stück 1905 unter seiner Leitung uraufgeführt wurde. Es wurde ein Kassenschlager des damaligen Theaterfrühlings in Helsinki und gar 18 Mal vor ausverkauftem Saal dargestellt. 


Wie „Der Tod“ beinhaltet auch „Pelléas und Mélisande“ gerne gespielte Einzelstücke, u. a. den wunderschönen Satz von „Mélisandes Tod“, der in Konzerten sehr oft als Zusatznummer zu hören ist.  ​

 

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