Sibelianische Weihnachten
Sanna Matinniemi, Sopranistin
Joonas Pitkänen, Dirigent
Basler Festival Orchester
Konzertreihe Jean Sibelius 2018-2022
Kalervo Tuukkanen (1909-1979)
Romantische Momente für Streicher op. 8 (1940)
Jean Sibelius (1865-1957)
Arioso op. 3 für Gesang und Streichorchester
(1911, Text Johan Ludvig Runeberg 1804–1877)
Fünf Lieder op. 38, Nr 1, Herbstabend, Arrangement
für Gesang und Streichorchester
(1904, Text Viktor Rydberg 1828-1895)
Fünf Weihnachtslieder op. 1, Nr. 1-5, Arrangement für
Gesang und Orchester von Ilkka Kuusisto
Weihnacht steht vorm Tor im Schnee (1913)
Weihnacht ist nun kommen (1913)
Draußen wird es dunkel (1897)
Weihnachtsweise (1909)
Hoch sind die Schneewehen (1901)
(Die Lieder werden auf Finnisch gesungen.)
Impromptu, nach op. 5, Nr. 5 und 6 für Streichorchester (1894)
Der Liebende op. 14 für Streichorchester und Schlagzeug (1912)
Peterskirche Basel
Dezember 2018
Weihnachten … ist das Fest der Liebe und der Familie. Der heutige Anlass eröffnet die Sibelius-Konzertreihe mit einem Weihnachtskonzert. Jean Sibelius, der grosse Sinfoniker des Nordens, hat das beliebteste finnische Weihnachtslied komponiert! Der sechsfache Familienvater schenkte seinen Liebsten Weihnachtslieder, die voll Innigkeit in der Sibelius-Familie gesungen wurden. Er selbst war ein Dezember-Kind. Sein Geburtstag, der 8. Dezember, wird als „Tag der finnischen Musik“ gefeiert.
In Romantischen Momenten für Streicher ist für Kalervo Tuukkanen’ s Kompositionsstil typische romantische Tonsprache zu hören. In den drei Sätzen malt er Stimmungsbilder in sibelianischer Tradition. Hier umrahmen zwei gesangliche, melancholische Sätze ein Scherzo, das an den schwedischen Komponisten Dag Wirén erinnert. Tuukkanen war ein Humanist und musikalischer Allrounder. Er verfügte über einen Abschluss in Philosophie und schrieb Aphorismen. Er arbeitete als Gesangslehrer, Chorleiter und Dirigent in vielen finnischen Städten sowie in Wyborg und gar in Hongkong. Zu seinen Erfolgen gehört ebenfalls die Mitgründung des finnischen Komponistenverbands und dessen Sibelius-Fonds.
Jean Sibelius komponierte 111 Sologesangsstücke, wovon ca. 40 zum Standardrepertoire finnischer Gesangskünstler gehören. Die Sololieder seien neben den Sinfonien das Kronjuwel seines Schaffens, sagen Musikforscher, oder dass sie das Ergebnis seines Bedürfnisses zur kammermusikalischen Interpretation sind. Stilistisch gesehen waren seine Lieder ein Novum in der finnischen Kompositions-geschichte. Sie wurden von Sängern, Kritikern und Künstlerkollegen mit viel Interesse und Lob empfangen. Das Spektrum reicht von nordischer Romanze bis zu grossformatigen Dramen.
Er vertonte vorwiegend schwedischsprachige Gedichte; Finnlandschwedisch war seine Muttersprache. Gerne wird es angedeutet, dass aufgrund seiner intimen Beziehung zu schwedischsprachigen Texten, bestimmte Merkmale seines Charakters gerade in den Liedern zu erkennen seien. Von diesen schwiegen seine Orchesterwerke. Die „schwedisch-klassischen“ Elemente seiner Persönlichkeit würden seine „mystisch-finnischen“ Eigenschaften ausgleichen. Sein Lieblingsdichter war Johan Ludvig Runeberg, ein finnland-schwedischer Schriftsteller, der als Nationaldichter Finnlands gilt. Seine Verse waren eine dauerhafte Inspirationsquelle für Sibelius; er schrieb sein erstes (1888) und letztes Lied (1917) zur Runeberg’s Naturpoesie.
Sibelius vertonte Runeberg’s Gedicht Flickan gick en vintermorgon/ Arioso 1893 („Mädchen ging an einem Wintermorgen“). Es ist eine der Kompositionen der 1890-er Jahre, für welche er Orchester-Arrangements 1911-1912 schrieb. In jener Zeit vollendete er seine Sinfonie Nr. 4, die eine bemerkenswerte Stiländerung zum grossen Erstaunen seiner Zeitgenossen mit sich brachte.
Ein weiterer ausdrucksstarker Lyriker für Sibelius war der schwedische Dichter Viktor Rydberg. Zu seinem Text Höstkväll („Herbstabend“) komponierte er 1903 eines seiner anspruchsvollsten Lieder. Im Folgejahr überarbeitete er das Lied zu einer Version für Sinfonieorchester und später noch zu einer für Streichorchester, die erst 2003 veröffentlicht wurde.
Die Fünf Weihnachtslieder sind eine feine Sammlung von Stücken, die Sibelius 1897-1913 komponierte. Im Rahmen des Gesamtwerks stellte Sibelius diese Liedersammlung als Opus 1 an die Spitze seines Schaffens. Diese Wertung entspricht zwar nicht der Chronologie des Werkverzeichnisses, zeigt jedoch, wie sehr Sibelius die Kunst des Gesangs schätzte und wie viel ihm die Weihnachtszeit bedeutete. Empfindungen, wie dunkle Jahreszeit-Stimmung überbrückte er mit der Komposition von Weihnachtsliedern. Die 1913 veröffentlichten Lieder Nr. 1 und 2 werden relativ selten gesungen. Das 3. Lied ist eher ein Kunstlied für Sologesang. Die Lieder Nr. 4 und 5 gehören gemäss finnischem Ranking zu den sogenannten „schönsten Weihnachtsliedern“. Das 4. Lied „Weihnachtsweise“ ist seit Jahrzehnten das meist gesungene Weihnachtslied. Bei den Texten griff Sibelius in den literarischen Fundus von Zacharias Topelius (1818-1898), einem schwedischsprachigen Autor, ausser beim letzten Lied „Hoch sind die Schneewehen“, das eine Vertonung eines Gedichts von Wilkku Joukahainen (1879-1902) ist.
Die Impromptus Nr. 5 und 6 stammen ursprünglich aus einem Melodrama, das Sibelius zu Runeberg’s Gedicht Svartsjukans nätter („Nächte der Eifersucht“) komponierte. Sie wurden 1893 als Teil der Sechs Impromptus für Klavier op. 5 veröffentlicht. Im Folgejahr verarbeitete er deren Themen zu einer Version für Streichorchester. In den Melodien sind Einflüsse von karelischen Volkstänzen und Kantele-Musik zu hören. Aino und Jean Sibelius hatten Karelien, die Geburtsstätte des finnischen Nationalepos Kalevala, im Sommer 1892 als „just married“ Ehepaar erkundet.
Die erste der sechs Töchter von Aino und Sibelius kam 1893 in die Welt. 1894 vollendete der junge Vater den dreisätzigen Liederzyklus Der Liebende für Männerchor. Die Version für Streicher und Schlagzeug schrieb er 1911-1912. Sein Stil, die Stimmung der lyrischen Lieder seiner Heimat musikalisch zu vermitteln, kommt in der orchestralen Überarbeitung sehr gut zur Geltung. Die drei Liebeslieder stammen aus Kanteletar von Elias Lönnrot (1802-1884). Kanteletar („Kantele-Spielerin“) ist das sogenannte Schwesterwerk von Kalevala. Es ist eher eine "weltliche" Sammlung von Liedern, Sagen und Mythen. Viele dieser Überlieferungen beschreiben das harte Leben der abgelegenen Region aus der Sicht der Frauen. Das zweite Lied, Armahan kulku („Der Gang der Liebsten“) gilt als eines der schönsten Liebesgedichte Finnlands.